- jungsteinzeitliches Siedeln und Wohnen
- jungsteinzeitliches Siedeln und WohnenEin wesentliches Merkmal neolithischer Kulturen ist die Sesshaftigkeit, das Zusammenleben einzelner stabiler Gemeinschaften in Weilern oder Dörfern mit dauerhaften Behausungen. Für die älteste Bauernkultur Mitteleuropas, die Kultur der Bandkeramik (circa 5600-4900 v. Chr.), ist eine Bindung an die fruchtbaren Lössgebiete auffällig. Die Archäologie sicherte einen typischen Hausgrundriss, dessen Länge sich auf 25-35 m beläuft und dessen Breite 6-8 m beträgt. Die Innenfläche hat also 150-280 m2. Die vermutlich5 m hohen Häuser sind einheitlich von Nord/Nordwest nach Süd/Südost ausgerichtet. Sie lassen in Längsrichtung fünf Pfostenreihen erkennen, sind also »vierschiffig«. Die mächtigen tragenden Pfosten erreichten bisweilen Durchmesser bis zu 0,5 m. Die Wände bestanden aus lehmverputztem Flechtwerk, ähnlich dem heutigen Fachwerk oder auch - besonders im nordwestlichen Hausteil - aus Spaltbohlen, mittels Keilen aus Baumstämmen abgespaltene Bretter. Als Dachform kommt nur ein Satteldach mit einem Gerüst aus Pfetten und Rofen (Sparren) infrage, gedeckt mit Reisig und einer überlagernden Strohschicht («Wirrstrohdach«), eventuell auch mit Baumrinde. Von der perfekten Holzbearbeitung der Träger dieser Kultur zeugt ein »Jahrhundertfund« im rheinischen Braunkohlerevier bei Erkelenz-Kückhoven - eine im Grundwasserhorizont original erhaltene, mehrfach erneuerte Brunnenverzimmerung in Blockbauweise.Wegen nachfolgender Erosionsvorgänge mangelt es an Hinweisen auf Feuerstellen und andere Kücheneinbauten, wie zu erwartende lehmverputzte Kornmahlplätze sowie leicht gebaute Zwischenwände. Nachzuweisen ist allein ein abgehobener Speicherboden im Südostteil. Man kann davon ausgehen, dass die Lehmwände überwiegend weiß getüncht waren. Lage und Zahl der Türen sind nicht bekannt und sichere Hinweise auf Fensteröffnungen fehlen. Da eine Viehaufstallung wegen des günstigen Klimas und robuster Haustierrassen nicht nötig war, gelten die großen Häuser der Bandkeramik als reine Wohnspeicherbauten. Die Inneneinrichtung mit Mobiliar war sicher spärlich. Aus Südosteuropa sind Kleinplastiken in Form niedriger Hocker oder Schemel überliefert, die man auch in Mitteleuropa als bekannt voraussetzen darf. Tische sind unwahrscheinlich, da sich das Leben sicher bodennah um die offene Feuerstelle abspielte. Schlafplätze sind sowohl ebenerdig als auch vom Boden abgehoben denkbar, denn Flecht- und Knüpftechniken beherrschte man.Es gibt Einzelhöfe, kleine, mittlere und auch größere Siedlungen - in Ausnahmefällen mit bis zu zehn gleichzeitig bestehenden Häusern. Es ergaben sich Dorfgrößen mit einem Flächenbedarf von bis zu 7,5 Hektar, da die Häuser inmitten ihres jeweiligen Hofareals in gebührendem Abstand voneinander lagen. Gelegentlich waren bandkeramische Siedlungen von Graben, Wall und Palisaden eingefasst. Das vorherrschende Bild einer friedlichen frühbäuerlichen Zeit hat insbesondere auch durch die Aufdeckung eines Massengrabes bei Talheim (Kreis Heilbronn) einige Risse erhalten. Bei den Funden von über 40 erschlagenen Personen aller Altersstufen mag es sich um die Einwohnerschaft eines einzigen Dorfes von vielleicht zwei, vielleicht aber auch sechs Häusern handeln.Im Mittelneolithikum werden die altneolithischen Traditionen fortgeführt, zum Teil erreichen die für diese Zeitphase charakteristischen trapez- oder bootsförmigen Häuser sogar noch größere Dimensionen. Es kommen Langhäuser vor, die sich bis zu 60 m erstrecken. Zeittypisch sind auch große Kreisgrabenanlagen (Außendurchmesser 70-10 m), die in der 1. Hälfte des 5. Jahrtausends von Westungarn bis nach Mitteldeutschland und Bayern verbreitet waren und in ihrer Kreisform eine Sonderform der Erdwerke darstellen, auf die weiter unten eingegangen wird.Das Jungneolithikum (ab 4400/4300 v. Chr.) unterscheidet sich in grundlegenden Zügen von den Verhältnissen zur Zeit der ersten Ackerbauern Mitteleuropas. Die Großhäuser werden abgelöst von ein- bis zweiräumigen Kleinhäusern. Dies legt die Vermutung nahe, dass im Unterschied zu den älteren Ackerbaugesellschaften, die vielleicht eher auf der Ebene von Familiengruppen (Clan) organisiert waren, jetzt eine Art Kern- oder Kleinfamilie die kleinste Wohn- und Wirtschaftseinheit bildete. Das Altsiedelgebiet der Lösslandschaften wurde sicher auch weiterhin bis an die Grenzen der Belastbarkeit bewirtschaftet. Darüber hinaus werden nicht nur großräumig Gebiete mit weniger fruchtbaren Böden, sondern auch völlig neue Standorttypen besiedelt. Dies waren einerseits Höhensiedlungen, die häufig - wie auch viele zeitgleiche Flachlandsiedlungen - ein massives Befestigungssystem erkennen lassen, und andererseits Siedlungen an Seeufern oder an verlandenden Seen. Die Häuser oder Dörfer wurden - abgesehen von Einzelfällen wie der bronzezeitlichen Siedlung Fiave in Norditalien - nie als echte Pfahlbauten über der Wasseroberfläche errichtet, wie man es sich lange Zeit vorstellte. Die Holzerhaltung in den Mooren und Seen des Voralpenlandes liefert bezüglich der Hauskonstruktionen viele interessante Details. Über einer Isolierschicht aus organischem Material, die gegen die Feuchtigkeit schützen sollte, befanden sich die Fußböden; manchmal handelt es sich um regelrechte Holz- oder Bretterfußböden mit Lehmestrich. Die überwiegend einräumigen Häuser haben Grundrissmaße von 59 m zu 35 m (etwa 15-5 m2) bei einer Höhe von 45 m und sie zeigen im Inneren bis zu drei Herdstellen oder Öfen. Das Traggerüst des Satteldaches dieser ein- bis zweischiffigen Kleinhäuser bildeten die Wandpfosten, gelegentlich unterstützt von einer Firstreihe. Überblattung und Verzapfung von Balken sind ebenso belegt wie gebundene »Verbindungen«. Die etwa zwei Meter hohen Wände bestanden entweder aus Spaltbohlen, deren Zwischenräume mit Moos abgedichtet und mit Lehm verputzt sein konnten, oder aus zweiseitig mit Lehm verschmiertem Rutengeflecht. Sowohl für Stroh- oder Schilf- als auch für Baumrindeneindeckung gibt es Anhaltspunkte.Die Häuser zeigen mehrfach eine räumliche Trennung von Wohn- und Wirtschaftsbereich (»Küche«), jedoch nur ausnahmsweise kleine, integrierte Stallverschläge. Einzeln stehende Stallgebäude, Scheunen oder Vorratshäuser kannte man nicht. Die Anordnung der Häuser, die innerhalb eines Dorfes durchweg einheitlich in Größe, Bauart und Fundmaterial sind, folgt einem neuen Orientierungsschema, das auf äußere natürliche Gegebenheiten (Uferlinie) oder innere Dorfstrukturen (Wege, Plätze) bezogen ist. Die Hauseingänge liegen oft an den Giebelseiten, sodass sie bei gegenüberliegenden Häusern gegenständig sind. Die eng begrenzten Dörfer mit ihren 10-30 Häusern bedecken Flächen von 0,5-1,5 Hektar und sind teilweise mit Zäunen oder Palisaden eingefasst, sodass die landwirtschaftlichen Nutzflächen außerhalb des Dorfareals lagen. Brände waren recht häufig, die Lebensdauer der Häuser beläuft sich auf 15-25 Jahre, wie man durch Bestimmung der Jahresringmuster der verwendeten Hölzer feststellen konnte. Immer wieder wurden die Dörfer verlassen, doch häufig suchte man die gleichen Siedlungsstellen zu einem späteren Zeitpunkt erneut auf. Da die Dörfer ungefähr 2 bis5 km voneinander entfernt lagen, errechnet sich eine Bevölkerungsdichte von maximal 10 Personen pro Quadratkilometer.Charakteristisch für das Jungneolithikum in den Altsiedelgebieten sind Erdwerke, mit Gräben, Wällen und Palisaden komplett oder abschnitthaft umgebene, 10-70 und mehr Hektar große (Siedlungs-)Flächen. Insbesondere durch die Luftbildarchäologie ist in den letzten Jahren die Kenntnis über Anzahl, Größe und Gestalt dieser Anlagen enorm gestiegen. Wall und Graben zeigen schon häufig im Luftbild erkennbar mehrfache Unterbrechungen, die sich bei Ausgrabungen als Tore mit spezifischen (Holz-)Konstruktionen herausstellen. Gelegentlich finden sich in den Gräben auch zahlreiche Pfeilspitzen und menschliche Skelette. Die Erdwerke dienten nicht nur Verteidigungszwecken, sondern erfüllten wohl auch wirtschaftliche, kultische und zentralörtliche, soziale und kommunikative Aufgaben.Der Typ der Feuchtbodensiedlung hält sich im Alpen- und Voralpenraum bis etwa 800 v. Chr., bis zum Ende der Bronzezeit. Als neues Konstruktionsmerkmal kommen horizontal liegende Schwellbalken mit eingezapften Pfosten auf, wodurch das Baugefüge mehr Stabilität erhielt. Die Planmäßigkeit der Innenbebauung nimmt noch zu. Von der Menge der genormten »Reihenhäuser« heben sich zentrale Bauwerke ab, die Speicherbauten gewesen sein mögen und/oder Sitz einer örtlichen Autorität. Große, auffällige Schlüssel aus Bronze lassen sich mit dieser These gut in Einklang bringen.Dr. Christoph WillmsKruta, Venceslas: Die Anfänge Europas. 6000 bis 500 v.Chr. München1993.Kuckenburg, Martin: Siedlungen der Vorgeschichte in Deutschland 300000 bis 15 v.Chr. Köln1993.Louboutin, Catherine: Steinzeitmenschen. Vom Nomaden zum Bauern. Ravensburg 1992.
Universal-Lexikon. 2012.